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Title
Verstrickte Bilder. Deutsche und sowjetische Propagandabilder als Komplizen von Krieg und Gewalt 1941–1945


Author(s)
Tschäpe‚ Karl-Konrad
Published
Berlin 2020: Metropol Verlag
Extent
544 S.
Price
€ 29,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Bianka Pietrow-Ennker, Fach Geschichte, Universität Konstanz

Die vorliegende, breit angelegte und höchst aufschlussreiche Studie ist Bildwelten im deutsch-sowjetischen Krieg 1941 bis 1945 gewidmet. Sie waren, wie Karl-Konrad Tschäpe es ausdrückt, in eine grausame Gewaltgeschichte „verstrickt“. Die Propagandabilder, um die es ihm geht, wurden in Massenauflagen angefertigt und verbreitet, sie erzielten eine weitreichende Wirkung durch Formen, Inhalte und die Quantität ihrer Produktion und Distribution. Bestimmte Bilder und spezifische Sujets werden bis heute in unterschiedlichen Kontexten intensiv rezipiert und beeinflussen weiterhin Wahrnehmung und Stereotypenbildung.

Das Verdienst des Autors ist wahrlich groß: dies in Hinblick auf seine Quellenauswahl, seinen Forschungsansatz und sein interdisziplinäres Konzept. Während schriftliche Quellen zur Geschichte des deutsch-sowjetischen Krieges in der Geschichtswissenschaft bereits sehr dicht ausgewertet wurden, bestand jedoch weiterhin Bedarf an einer systematischen Erschließung wie Auswertung deutschen und sowjetischen propagandistischen Bildmaterials, das sich auf diesen Krieg bezog. Tschäpe hat Tausende von Bildquellen ausgewertet und zudem die bereits vorhandenen Editionen herangezogen. Seine Auswahl umfasst zeitgenössische Plakate, Briefmarken, Postkarten, Pressezeichnungen, Karikaturen, Infografiken, Schulungshefte und Ausstellungskataloge. Orte der Archivrecherche war Berlin, es verwundert, warum nicht russische Staatsarchive hinzukamen und warum diese Entscheidung der Leserschaft nicht erklärt wird. Dennoch war der Zugriff auch auf sowjetisches Material umfangreich, sodass methodisch eine Gegenüberstellung deutscher und sowjetischer Bildquellen und ihre vergleichende Auswertung möglich und ergiebig gewesen ist.

Tschäpes Vorgehen ist in einzelnen Schritten darauf gerichtet, Propagandabilder zu erschließen, die bildeigene Aussagekraft zu ermitteln, diese zu entschlüsseln und sie zu kontextualisieren, schließlich Typenbildungen in Bezug auf Feind und Freund herauszuarbeiten und sie auch innerhalb eines deutsch-sowjetischen zeitgenössischen Diskurses zu verorten. Erkenntnistheoretisch wird nach der Wirkungsabsicht und der Wirkmächtigkeit gefragt. Der Autor geht von der These aus, dass in staatlich verantworteten Konfliktfällen wie Kriegen der Propaganda die zentrale Rolle zufällt, Gewalt als folgerichtig erscheinen zu lassen und ihr einen geistigen Horizont zu schaffen. Sowohl für das nationalsozialistische wie das stalinistische Regime galt, dass Propaganda dann ihr Ziel erreicht habe, wenn sie die breite Bevölkerung dazu brächte, für die propagierten Vorstellungen sogar das eigene Leben zu opfern. Tschäpe formuliert ausdrucksstark, dass die Propaganda der Pistole die Richtung weise, in der im Überlebenskampf geschossen werden solle (vgl. S. 454).

Die Überzeugungskraft der Bilder, so Hypothese und dann auch ein Ergebnis der Studie, werde durch Motive erhöht, die Gräueltaten aufgreifen; unterlegt mit Texten verstärken sie die Botschaft des Propagandabildes, also seine Wirkungsabsicht. Der Autor kann solche Bilder in großer Dichte vorstellen, die Bebilderung des Buches führt zu hoher Anschaulichkeit. Akribische Bildanalysen, eigene Collagen, Rückgriffe auf kunsthistorische Vorbilder tragen dazu bei, sowohl in kultur- und kunsthistorischer als auch in medienwissenschaftlicher Hinsicht eine innovative Studie vorzulegen, die zudem den Forschungsstand in beeindruckender Breite spiegelt.

Die Suche nach Wirkmächtigkeit bringt den Autor nicht dazu, zusätzliche Archivbestände zur Erforschung der Perzeption hinzuzufügen, zum Beispiel Berichte der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) oder Einschätzungen führender NS-Politiker sowie Vertreter der Propaganda-Apparate. Um den Rahmen seiner Studie einzugrenzen, beschränkt er sich vielmehr auf serielle Bilder, die mit hohem geistigen, materiellen und logistischen Aufwand produziert wurden und die in unterschiedlichen Mediengattungen für die breite Masse erschienen. Daraus folgert der Autor, allerdings ohne Nachweise, dass so geschaffene und verbreitete Bildtypen auch besonders intensiv wahrgenommen worden seien. Dies mag sein, doch sagt diese Hypothese noch nichts darüber aus, wer wann welche Bildtypen positiv, gleichgültig oder negativ aufnahm.

Ausführungen zu den Bildtypen bringen weiteren Aufschluss: Im Kern gelten sie bei Tschäpe als Abbild, verweisen auf das Bewusstsein der Masse, sind von starken Vereinfachungen und Polarisierungen gekennzeichnet, um so breit wie möglich Wirkung zu erzielen. Es lässt sich zeigen, dass die Bildtypen eine gewisse historische Tradition haben, die aufgegriffen wird, wenn sie im deutsch-sowjetischen Krieg zu einem wesentlichen Element der Kriegsführung entwickelt werden. Es ist interessant zu verfolgen, mit welchen Mitteln unterschiedliche Zielsetzungen dabei propagandistisch erreicht werden sollen: zum einen den Feind durch Dämonisierung auszugrenzen, zum anderen die feindliche Bevölkerung beziehungsweise Soldaten auf die eigene Seite zu ziehen. Flugblätter, denen der Band große Aufmerksamkeit widmet, dienten ebendiesem Ziel.

Von drei Seiten nähert sich der Autor seinem Gegenstand: Er analysiert erstens am Beispiel von Briefmarken, einem überschaubaren Medium von nationaler wie internationaler Dimension, die propagandistische Typenbildung auf beiden Seiten. Zweitens nimmt er eine Typenanalyse am Beispiel zweier dominierender Figuren vor, dem des jüdisch-bolschewistischen Kommissars und dem des deutschen Eroberers (zachvatčik). Darauf folgt drittens eine Einzelbildanalyse anhand zweier auflagenstarker Plakate. Ausgewählt wurde das Plakat „Sieg oder Bolschewismus“ (1943) von Mjölnir (Pseudonym für Hans Herbert Schweitzer), der zu den einflussreichsten Propagandisten des NS-Regimes im Bereich der Plakatgestaltung zählte. Auf diesem zweigeteilten Plakat kontrastiert eine Idylle – eine gezeichnete, glückliche junge blonde Mutter mit ihrem jubelnden blonden Kind auf dem Arm – mit einer Art Hölle. Dort dominiert die Fratze des jüdisch-bolschewistischen Kommissars, darunter sind schemenhaft ermordete und gequälte Menschen zu sehen. Die Beschriftung „Sieg“ in Rot thront über der Mutter-Kind-Zeichnung, auf der in Schwarztönen gehaltene rechte Seite prangen die Wörter „oder Bolschewismus“. Dem wird das Plakat des bekannten sowjetischen Propagandisten Viktor Koreckij als Beispiel für die sowjetische Hasspropaganda mit der Aufschrift „Krieger der Roten Armee, RETTE“ (1942) gegenübergestellt. Es bildet fotografisch eine junge, sorgenvolle Mutter mit Kopftuch ab, die ihren verängstigten Sohn im Arm hält. Von links unten ragt ein blutiges Bajonett mit Runen-Zeichen in die Bildmitte hinein, seine Spitze zeigt dorthin, wo man das Herz der Mutter vermutet. Der ikonographische Rückgriff auf ein Madonnen-Motiv ist evident. Tschäpe nimmt seine Analyse und Kontextualisierung mit großer Akribie vor und erläutert, wie sich das Motiv des „Heiligen Hasses“ in der Bildtypengestaltung auf sowjetischer Seite mit dem der Verhöhnung und der Vertierung des Feindes verband.

Im Ergebnis unterschieden sich deutsche und sowjetische Freund- und Feindbilder deutlich. Auf deutscher Seite wurden Feinde mit sehr geringem Wirklichkeitsbezug dargestellt, eher als „rassistisch markierte Phantomfeinde“ (S. 456). Auf sowjetischen Darstellungen erfolgte zwar ebenfalls eine Dehumanisierung des Feindes und die Darstellung seiner Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Allerdings spielte das plastische Töten in der sowjetischen Propaganda medienübergreifend eine dominante Rolle, während in der nationalsozialistischen eher Allegorien oder Symbole zerstört wurden.

Wenig aussichtsreich erscheinen aus heutiger Sicht Propagandastrategien auf beiden Seiten besonders dann, so Tschäpe, wenn sie in Reaktion auf die feindliche Propaganda deren Feindbild für sich zu nutzen suchten. Das geschah auf sowjetischer Seite mit der Figur des Kommissars. In sowjetischen Flugblättern, welche die Soldaten der Wehrmacht zum Überlaufen motivieren sollten, wurde der Kommissar etwa als „der Vater und die Seele seines Regiments“ (S. 272) dargestellt oder als Freund des deutschen Offiziers, der sich ihm anvertraut hatte. In Flugblättern verarbeitete Fotos sollten dem Feindbild des jüdisch-bolschewistischen Kommissars entgegenwirken, indem Gemeinschaft zwischen deutschen Kriegsgefangenen und Kommissaren symbolisiert wurde. Auf deutscher Seite schienen unter anderem Flugblattaktionen, die antisemitischen Inhalt hatten und zum Kampf gegen „das internationale Judentum“ (S. 262) aufriefen, nicht erfolgversprechend. Bei den sowjetischen Zielgruppen lag eine Identifizierung von Juden, besonders Kommissaren, als Feinde eher fern, schon weil der damit verbundene ideologische Kontext fehlte.

Der Band klingt mit einem Ausblick auf sowjetische visuelle Propagandaformen aus, die den Zweiten Weltkrieg überdauerten und aus denen die Gewissheit über den Erfolg der eigenen Propaganda sprach, während sich die deutsche Propaganda – so Tschäpe – mit ihren Phantombildern vor der Weltöffentlichkeit blamiert hatte (vgl. S. 456). Untersuchungsgegenstand ist das monumentale sowjetische Ehrenmal des „Kriegers und Befreiers“ von Evgenij Vučetič in Berlin-Treptow, das 1949 eingeweiht wurde. Die wiederum höchst akribische Analyse fördert die visuellen Traditionen auf sowjetischer Seite zu Tage, die in der Zeit des Krieges maßgeblich wurden und nun zu einer Apotheose des soldatischen Befreiers kulminierten. So lehrreich wie einleuchtend die Beweisführung ist, sprengt doch das Beispiel den Rahmen der Arbeit deutlich. Denn mit der Hinwendung zur Gattung des Denkmals und seiner (transnationalen) Wirkung im öffentlichen Raum überdehnt Tschäpe sein Konzept und wirft neue Fragen auf, unter anderem nach dem Vergleich unterschiedlicher Medien. Sie sollten Gegenstand künftiger Forschung sein.

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